„Das Recht ist der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält“
Im alten „Schleusenwärterhäuschen“ befindet sich am Ufer des Landwehrkanals seit 2004 die Kreuzberger Kinderstiftung. Ihr Gründer und Finanzier: Peter Ackermann – Jurist, Firmengründer und ehemaliger Student der Freien Universität.
Peter Ackermann wird 1939 in Berlin geboren. Der Vater fällt 1941 im Krieg, anstelle von Erinnerungen bleiben Fotos. Seine Mutter beginnt noch im Krieg Medizin zu studieren, sie will damit ein Zeichen setzen gegen den Tod, für das Leben. Sie ist Bezugsperson und Vorbild. Ebenso wie die zwei Jahre ältere Schwester, die ebenfalls Medizin studiert. Ackermann möchte Architekt werden, ein aussichtsloser Traum, denn Berlin liegt in Trümmern. Was bleibt an Perspektiven? Ackermann hat Glück, er erhält ein Stipendium des US-amerikanischen Außenministeriums für ein High-School Jahr. Er ist einer der damals noch wenigen Berliner, die 1955 zum Schüleraustausch in die USA reisen.
Heute setzt er sich mit seiner Kreuzberger Kinderstiftung selbst für Jugendliche ein. Mit ihr fördert er Bildungs- und andere gesellschaftlich relevante Projekte, vergibt Stipendien und setzt operativ eigene Programme für Kinder und Jugendliche um. Insbesondere Auslandsaufenthalte für Schülerinnen und Schüler mit mittlerem Schulabschluss liegen Ackermann am Herzen. „Die Hälfte der jungen Leute, die aus dem Ausland zurückkommen, ändern ihren Lebensweg. Aber das eigentliche Ziel ist, individuelles Lernen zu fördern und Selbstvertrauen zu vermitteln.“
Eine Maxime, die er sich für sein persönliches Handeln gibt, lässt sich aus dem ableiten, wofür er seit Jahrzehnten kämpft: Bildungsgerechtigkeit. „Wir haben keine Bodenschätze in Deutschland, unser Reichtum ist in den Köpfen der Menschen. Es wird nicht aus jedem ein Einstein, aber niemand sollte auf staatliche Sozialleistungen angewiesen sein, weil die Eltern und Großeltern es waren.“ Ackermann ist durch den Krieg und die Nachkriegszeit geprägt, hat Flucht und materielle Not erlebt. Nach seiner Rückkehr aus den USA 1956 blickt er aber zuversichtlich in die Zukunft: „Solange man die Chance hat, in Freiheit in diesem Land zu leben, kann einem nichts Besseres passieren.“
1959 nimmt Ackermann das Studium der Rechtswissenschaft an der Freien Universität Berlin auf. „Seinerzeit war die Auswahl an möglichen Studiengängen noch nicht so groß und ich sah, dass die Führungspositionen in der Wirtschaft von einem gewissen ‚Juristenmonopol‘ geprägt waren. Ich habe die Entscheidung nie bereut, zumal ich später begriff, dass die Rechtswissenschaft die Trennung des Wesentlichen vom Unwesentlichen lehrt.“ Seine Zeit in den USA kommt ihm auf dem Campus zugute, denn ganz in dessen Nähe befindet sich ein Laden des US-Militärs, in dem amerikanische Soldaten Produkte aus der Heimat kaufen konnten. „Durch meine Englischkenntnisse konnte ich meinen Kommilitonen dadurch das ein oder andere Mal amerikanische Kaugummis präsentieren – oder sogar echten Bourbon.“
Wenn das Wetter es zulässt, verbringt er zusammen mit anderen Erstsemestern viele Stunden auf der Wiese vor dem Audimax. Sein Interesse gilt aber nicht nur der Juristerei, er besucht auch fachfremde Veranstaltungen: „An eine Veranstaltung im Wintersemester 1959/1960 erinnere ich mich ganz besonders: Professor Emil Dovifat, Leiter des Instituts für Publizistik, gab uns im Rahmen einer Ringvorlesung Einblicke in die Welt der freien Presse.“
Dennoch hält es ihn nicht lange in Berlin. Er verbringt seine „Wanderjahre“ im schweizerischen Fribourg, studiert einige Semester in München, sein Examen macht er in Göttingen. „Ich habe ganz ordentliche Examen gemacht“, sagt Ackermann. „Aber wozu die Jurisprudenz wirklich gut ist, weiß man während der Ausbildung nicht. Die Erkenntnis bekommt man später im Leben, wenn man die Dinge wirtschaftspolitisch einzuordnen versteht, wenn sich einem die soziologischen Zusammenhänge erschließen, wie sich Gesellschaften aufstellen. Vor allem aber ist das Recht der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält.“ In der Weltsicht Peter Ackermanns ist das „große Ganze“ unabdingbar mit dem individuell Kleinen verwoben: „Die äußeren, gesellschaftlichen Umstände beeinflussen das eigene Leben ganz enorm. Wenn ich in Pankow statt in Nikolassee groß geworden wäre, es wäre alles ganz anders gekommen, ich hätte nie diese Karriere machen können.“ Er wolle den eigenen Beitrag zum Erfolg nicht kleinreden, aber man dürfe nicht vergessen, dass man das Erreichte in Großteilen der Gesellschaft zu verdanken habe. „Etwas mehr Demut wäre oft angebracht“, sagt Ackermann.
In seiner Jugend ist Ackermann bei den Pfadfindern aktiv, engagiert sich früh in der Jugendpolitik. Er wächst „an Vaters Stelle“ in einer Jugendbewegung auf und findet neue Vorbilder außerhalb der Familie. Das Zusammensein mit Gleichaltrigen und -gesinnten prägt seine persönliche Entwicklung enorm. Dabei ist ihm der Punkt der Freiwilligkeit und Wahlmöglichkeit der wichtigste. „Sich abnabeln, Freunde finden, mit denen man an einem Strang zieht, und Themen aussuchen, denen man folgen will, das sind prägende Erlebnisse.“ Auf die Frage, was die größte Herausforderung für Jugendliche heutzutage sei, antwortet er: „Wir machen es Jugendlichen sehr schwer mit Vorbildern. Und die eigene peer-Group ist Jugendlichen am wichtigsten, auch wenn die orientierungslos ist.“
1968 übernimmt Ackermann die Leitung des Landesjugendrings Berlin, 1969 eröffnete er eine Rechtsanwaltskanzlei, macht sich auch international als Spezialist für zwischenstaatliches Recht einen Namen. Er verdient viel Geld, verliert viel Geld. Heute betrachtet er seine Erfolge nüchtern: „Hauptsache, 51 Prozent der Dinge, die man tut, klappen. Wenn einem dabei materielle Güter allerdings zu wichtig werden, fängt man bei Verlusten nur an zu heulen.“
1984 zieht Ackermann mit seiner Familie nach London, gründet eine Softwarefirma und leitet deren Niederlassungen in Europa, den USA und Asien. Nach dem Mauerfall kommt er zurück nach Deutschland ins Berliner Anwaltsbüro und ist für einen Investmentfonds sowie diverse Bauträgerunternehmen verantwortlich.
Im Jahr des regulären Ruhestands, zu seinem 65. Geburtstag, „schenkt“ er sich die Kinderstiftung. Ackermann stellt Immaterielles über Materielles, sagt heute: „Was immer nach meinem Tod übrig ist, erbt die Stiftung.“ 2001 ermöglicht er dem Land Berlin durch eine Pachtvorauszahlung, das „Schleusenwärterhäuschen“ für die Kreuzberger Kinderstiftung zu kaufen, und überträgt große Teile seines Vermögens der Stiftung. Kürzlich hat er sie um eine gemeinnützige Aktiengesellschaft ergänzt, denn er hält die klassische Stiftung für zu statisch. „Das Konzept einer gemeinnützigen Aktiengesellschaft mit breit gestreuter Mitgliedschaft könnte in der Stiftungslandschaft mittelfristig als Alternative erkannt werden“, ist Ackermann überzeugt. „Wenn man der AG genossenschaftliche und vereinstypische Elemente beigibt und jeder nur eine, nicht übertragbare Aktie hält, ist dies die transparenteste und demokratischste Organisationsform. Künftig werden engagierte Aktionäre die inhaltliche Arbeit der Stiftungs-gAG bestimmen, nur geleitet vom gleich gebliebenen Ziel der Stiftung: Die Förderung von Bildung und Erziehung und die Herstellung von Bildungsgerechtigkeit.“
Derzeit führt Ackermann Gespräche mit interessierten künftigen Aktionären. „Deren finanzielle Verhältnisse sind nicht entscheidend“, sagt er. „Wir sprechen auch junge engagierte Menschen an, deren Beitrag aus einem Sonderfonds bezahlt oder zwischenfinanziert wird.“ Während einer offiziellen Rede im Kreuzberger Stiftungshaus sagte Staatssekretärin Sigrid Klebba im vergangenen Jahr über Ackermanns Wirken, dass es sie „an den Wesenskern der Brecht’schen Parabel vom ‚guten Menschen von Sezuan‘ denken lasse.“ Es ist der Tag, an dem Ackermann das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse verliehen bekommt. Somit ist öffentlich bestätigt, was Menschen, die ihn kennen, schon lange wissen: Peter Rolf Ackermann ist ein Vorbild. Ein Mann großer Worte und Taten.
Text: Sandy Bossier- Steuerwald; Bildquelle: Carsten Krüger
Publiziert im „Alumni-Magazin WIR: Winter 2016/2017“ (Print Publikation als PDF hier!) der Stabsstelle Presse und Kommunikation der Freien Universität Berlin, S. 44.